| Veranstaltung: | LMV Bremen |
|---|---|
| Tagesordnungspunkt: | 2. Anträge |
| Antragsteller*in: | Wilko Zicht |
| Status: | Eingereicht (ungeprüft) |
| Angelegt: | 12.09.2016, 16:16 |
A18: Verantwortung für Roma aus den Balkanstaaten wahrnehmen
Antragstext
- Wir fordern den Senat auf, den Vollzug der Rückführung von Angehörigen der
Roma und anderer Minderheiten aus allen Balkanstaaten weiterhin besonders
sorgfältig zu prüfen, Ermessensspielräume zur Erteilung langfristiger
Aufenthaltstitel zu nutzen und insbesondere sicherzustellen, dass niemand
während der kalten Jahreszeit in existenzielle Nöte abgeschoben oder zur
„freiwilligen“ Ausreise gedrängt wird.
- Wir fordern die Bundesregierung auf, sich aktiv für die Verbesserung der
wirtschaftlichen und sozialen Situation der Roma im Balkan einzusetzen,
wie es im gemeinsamen Beschluss der Bundeskanzlerin sowie der
Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder vom 24.
September 2015 vereinbart wurde.
- Wir fordern die stärkere Anerkennung von nichtstaatlicher Verfolgung und
von kumulativen Verfolgungsgründen im deutschen Asylrecht. Der
diskriminierungsfreie Zugang zum Arbeitsmarkt, zu Bildung, zum
Wohnungsmarkt, zu sanitären Einrichtungen und sauberem Trinkwasser und zum
Gesundheitswesen ist menschenrechtlich verbrieft. Soweit Roma und andere
Minderheiten diesbezüglich massive Diskriminierungen und Ausgrenzungen
erfahren, sollten sie Anspruch auf Asyl in Deutschland haben.
- Wir fordern, dass aus Verantwortung vor der deutschen Geschichte Roma aus
den Balkanstaaten im Rahmen jährlicher Kontingente die Möglichkeit
erhalten, sich unabhängig von Asylverfahren oder Arbeitsmigration
dauerhaft in der Bundesrepublik Deutschland niederzulassen. Auch Roma, die
in früheren Jahren einen vergeblichen Anlauf unternommen haben, über das
Asylverfahren eine Existenz in Deutschland aufzubauen, dürfen hiervon
nicht ausgeschlossen sein.
Begründung
Aufgrund des Völkermords an den europäischen Roma in der Zeit des Nationalsozialismus und aufgrund der lange Zeit mangelhaften Aufarbeitung dieses Völkermords trägt Deutschland und damit auch Bremen eine besondere historische und humanitäre Verantwortung gegenüber den Roma. Erschreckenderweise sind Roma auch heute noch als ethnische Minderheit in ihren Heimatländern, insbesondere in den Balkanstaaten, massiver Ausgrenzung, Diskriminierung und zum Teil gewaltsamen Übergriffen ausgesetzt. Fast überall sind sie von der Gesundheitsversorgung ausgeschlossen. Ihre Kinder dürfen vielfach nicht zur Schule, die Familien müssen nicht selten in ärmlichen Behausungen leben – ohne Heizung, fließend Wasser oder sanitäre Einrichtungen.
Vor diesem Hintergrund und anlässlich des Rückübernahmeabkommens zwischen Deutschland und dem Kosovo hatte die Bremische Bürgerschaft mit Beschluss vom 29. September 2010 den Senat aufgefordert, ethnische Minderheiten bei Rückführungen in den Kosovo langfristig zurückzustellen, Ermessensspielräume zur Erteilung langfristiger Aufenthaltstitel zu nutzen und sich für eine bundesweite Lösung für Roma und Angehörige anderer ethnischer Minderheiten aus dem Kosovo einzusetzen. In der Folge erging der sogenannte Kosovo-Erlass, der vorsah, dass beabsichtigte Rückführungen von Roma vorab zur Prüfung dem Innensenator vorzulegen sind, damit dieser die Umsetzung des Bürgerschaftsbeschlusses sicherstellt. Nachdem im Herbst 2015 alle Balkanstaaten vom Bundesgesetzgeber zu sogenannten sicheren Herkunftsstaaten erklärt wurden, kündigte Innensenator Mäurer an, den Kosovo-Erlass aufzuheben. Nach entschiedenem Protest der grünen Bürgerschaftsfraktion und der grünen Senator*innen wurde der Kosovo-Erlass schließlich am 9. März 2016 verlängert.
Darüber hinaus wurden in der vergangenen Wahlperiode im Rahmen einer Winterregelung die Bremer Ausländerbehörden angehalten, den Vollzug der Rückführung von besonders schutzbedürftigen Personen aus den Balkanstaaten zur Vermeidung besonderer Härten während der kalten Jahreszeit besonders sorgfältig zu prüfen. Eine Erneuerung dieses Winterabschiebestopps wurde im letzten Jahr leider von der SPD abgelehnt.
Obwohl die gesellschaftlichen Benachteiligungen und Diskriminierungen der Roma sowie ihre schwierige wirtschaftliche und soziale Lage allgemein anerkannt sind, werden in Deutschland Asylanträge von Roma aus den Balkanstaaten nicht erst seit deren Einstufung als angeblich sichere Herkunftsstaaten fast immer abgelehnt. Ursache hierfür ist die außerordentlich restriktive Anerkennung von Verfolgungsgründen im deutschen Asylrecht. Nichtstaatliche Verfolgung aus rassistischen Gründen wird zu oft ausgeblendet. Kumulative Verfolgungsgründe, d.h. wenn Betroffene auf vielfältige Weise gesellschaftlich diskriminiert werden und in einer allgemeinen Atmosphäre der Unsicherheit leben müssen, werden nicht hinreichend anerkannt. In anderen europäischen Ländern ist die Anerkennungsquote von Asylantragsstellern aus den Balkanstaaten um ein Vielfaches höher als in Deutschland.
Unabhängig vom Asylverfahren sollte im Rahmen des Asylpakets I für Angehörige aus Staaten des Westbalkans Möglichkeiten der legalen Migration aus dem Herkunftsland zur Arbeitsaufnahme in Deutschland geschaffen werden. Roma werden hiervon aber kaum profitieren können, da sie in ihrer Heimat beim Zugang zu Bildung diskriminiert werden und für den deutschen Arbeitsmarkt erst attraktiv sein werden, nachdem ihnen in Deutschland echte Bildungschancen eingeräumt werden. Deshalb ist es aus humanitären und entwicklungspolitischen Gründen erforderlich, über die eigentliche Arbeitsmigration hinaus Aufenthaltsmöglichkeiten für Roma insbesondere zur Bildung und Qualifikation bereitzustellen.
Unterstützer*innen
- Henrike Müller
- Søren Brand
- Jens Hirschberg
- Wojciech Gutowski
- Thomas Schäfer
- Björn Fecker
- Ralph Saxe
- Christa Komar
- Mustafa Öztürk
- Alexandra Werwath
- Thomas Tröster
- Johannes Osterkamp
- Joachim Musch
- Michael "Pelle" Pelster
- Maike Schaefer
- Matthias Güldner
- Florian Kommer
- Carsten Werner
- Jens Schabacher
- Landesvorstand
- Anne Schierenbeck
- Kirsten Kappert-Gonther